Le Bruit Qui Court
Kunst ganz öffentlich

Danke für Ihre Aufmerksamkeit

Neuster Beitrag: Passanten, aber auch der eine oder die andere Medienschaffende fragen sich, was hinter den Plak...
Niklaus Wenger 18.02.2015

Café publique #1

Neuster Beitrag: Sand auf der Grossen Schanze
Palmen in der Kramgasse
Stühle auf dem Bahnhofplatz
Kaffee...
Patric Marino 14.03.2015

Café public #2

Neuster Beitrag: Hier ist eine stetig wachsende Sammlung von Kunstprojekten im öffentlichen Raum zu finden.
...
Niklaus Wenger 02.06.2015

Café public #3

Neuster Beitrag: Auf der Website «Stadt statt Strand» und im Buch «Stadt selber machen» gibt es Ideen und Tipp...
Niklaus Wenger 20.05.2015

Feuille publique #1

Neuster Beitrag: Am NEU-stadt-lab auf der Schützenmatte lesen wir dir öffentlich aus dem Feuille publique
Niklaus Wenger 26.09.2015

Café public #4

Neuster Beitrag:
Heitere Fahne Wo die Heitere Fahne liege, in Wabern oder Bern? Es komme drauf a...
Patric Marino 25.09.2015

Elefanten in der Stadt

Neuster Beitrag: Zusammen mit Watson und anderen reist er durch die weite Welt des Internets.
...
Niklaus Wenger 24.10.2015

Café public #5

Neuster Beitrag: Der Kunst wird heute viel zugetraut, vielleicht auch viel zugemutet. Kunst wirke als sozialer ...
Noemi Lerch 02.11.2015

Café public #6

Neuster Beitrag:
«Was hätt äch d'Meret zum Brunne gseit, so winer hüt usgseht? Nid viu, hätt sie gseit, n...
Patric Marino 19.12.2015

Feuille publique #2

Neuster Beitrag: Aus den Gesprächsbeiträgen, Berichten und persönlichen Interpretationen der Cafés publics...
Niklaus Wenger 11.05.2016

Café publique #1

Der kommerzielle Nutzungsdruck auf öffentliche Plätze und Freiräume steigt. Auffallend ist, dass dabei vor allem prominente Plätze und zentrale Räume der Innenstadt Berns in Besitz genommen werden. Einige erachten diese zunehmende «Eventisierung» als produktiv – andere warnen vor Übernutzung und sehen den öffentlichen Raum gefährdet. Welche Bedeutungen und Funktionen werden öffentlichen Räumen zugeschrieben? Ein Café publique über vielfältige und divergierende Nutzungsansprüche.


Mit: Alexander Tschäppät, Berner Stadtpräsident; Daniel Blumer, Stadtforscher; Fritz Schär, Architekt; Sandra Künzi, Moderation.


Im Café publique wird anhand ausgewählter Themenschwerpunkte über den öffentlichen Raum Berns diskutiert – mit eingeladenen Gästen und dem Publikum. Café publique ist in Bewegung. Es findet 2015 sechsmal, jeweils sonntags statt – an wechselnden Orten. Weitere Daten: 29. März, 3. Mai, 13. September, 25. Oktober und 29. November. Café publique ist ein Projekt von Le bruit qui court. Kunst ganz öffentlich.

Andrea Portmann 01.01.2015

Vorankündigungen in der Presse

Mehr Öffentlichkeit dem Raum – die Presse macht auf das erste Café publique aufmerksam.


Vorankündigung in der Berner Zeitung vom 6.2.15
Vorankündigung in der WOZ vom 19.2.15

Niklaus Wenger 19.02.2015

Vorspann

Der Vorspann eröffnet das Gespräch. Bei den kommenden Veranstaltungen wird er zudem als Rückblick auf die vorangegangenen Gespräche funktionieren.

Andrea Portmann 23.02.2015

Impressionen des Café publique #1

Das erste Café publique findet in der Grossen Halle an der Schützenmatte statt. Sie bezeichnet sich selber als gedeckte Allmend.

Niklaus Wenger 23.02.2015

Audiomitschnitt vom Café publique #1

Hier kannst Du das Café publique #1 hören:

Kevin Graber 23.02.2015

Bundesplatz

Der Bundesplatz war sein Leben lang ein Parkplatz. Sein Wert war unbestritten, er bot Parkfläche an zentraler Lage, für Menschen aus der Stadt und vom Land, er stand allen Autofahrern offen und war für 50 Rappen eine Stunde lang erschwinglich. Einzig für Empfänge und Demonstrationen wurden die Autos weggeräumt, und der Parkplatz wurde zum Staatsplatz. Könige und Kaiser fuhren in Kutschen über die Parkfelder, Bauern wurden an Demonstrationen gegen Parkschilder gedrückt und in Pfeilrichtung getrieben. Bundesräte parkierten vor dem Bundeshaus, sie bekamen Parkbussen, und auch ihnen wurden mal die Scheibenwischer gestohlen. Der Parkplatz war ein Sinnbild der Demokratie und folgte bereits dem Geist der Mediterranisierung, denn auch in Rom oder Madrid waren zentrale Plätze Parkplätze. Seit gut zehn Jahren ist der Bundesplatz kein Parkplatz mehr, sondern ein leerer Platz, ein öffentlicher Raum. Plötzlich wollen alle darauf und dürfen nicht mehr. Die Autos fahren Runden um den Platz und erregen sogleich Verdacht. Die Bauern demonstrieren nicht mehr gegen den Milchpreis, sondern feiern Sichlete und verkaufen Gemüse auf dem Bundesplatz. Beim Beachvolley darf man zuschauen, aber nicht mitspielen. Kinder rennen nackt durchs Wasserspiel. Die Lichtshow scheucht Fledermäuse auf, die im Bundeshaus einen der wichtigsten Brutplätze Europas haben. Und eigentlich hätte auch das erste Café public auf dem Bundesplatz stattfinden sollen. Das Nutzungskonzept des Bundesplatzes passt in keinen Hosensack, es sieht eine Unterscheidung zwischen politischen und unpolitischen, kommerziellen und nicht kommerziellen Anlässen vor und macht sie trotzdem nicht. Der Wochenmarkt ist der kommerziellste Anlass. Ein Kilo Äpfel kostet 3.60 Franken, die Rüebli 2.30 und die Setzlinge 50 Rappen pro Stück. Während der Miss-Schweiz-Wahl konnte man nichts kaufen, nicht einmal Tickets, und doch wurde die Veranstaltung als kommerziell angegriffen. Man fordert, dass der Platz seine ursprüngliche Funktion wieder bekommt. Die Gäste der Miss-Schweiz-Wahl fuhren in grossen Autos vor, der Bundesplatz war wieder Parkplatz. Man verlangt, dass man den Platz überqueren kann, geht rundherum und wirft Vorwürfe und Orangen gegen den gläsernen Dom. Am nächsten Tag reiben sich die Bauern die Hände unter dem Dom, denn sie müssen die Zelte nicht aufbauen, ihre Früchte bleiben trocken und warm. Die Marktfahrer sind zufrieden, aber wir streiten über den Dom, während der Kaffee kalt wird und sich der Zucker nicht mehr auflöst. Die Devise lautet, öffentliche Räume freizuhalten, doch stellt sich bei leer stehenden Plätzen das Gefühl ein, dass etwas fehlt und die Leere bespielt werden muss. Auf jedem Platz wird rausgestuhlt, angebaut und erweitert. Für einen Parkplatz braucht es einzig weisse Markierungen auf Valser Gneis, die den Platz frei halten und ihm seinen klassischen Zweck zurückgeben. Denkt man all die Forderungen weiter, müsste der Bundesplatz wieder zu einem öffentlichen Parkplatz werden. Vorerst für ein Jahr. Es ist eine Idee in Art des Zürcher Hafenkrans, nur dass der Kran in Bern funktionieren würde und eine Funktion hätte. Nicht Parkplätze anzubieten. Aber den Menschen bewusst zu machen, was der Bundesplatz einmal war und was er heute ist und uns bedeutet. Damit wir mitentscheiden wollen, wie der Platz behandelt, vergeben und gestaltet wird. Dabei geht es nicht um guten oder schlechten Kommerz, sondern um die Grundbedürfnisse in der Bevölkerung, die einen Konsens haben. Dass der Bundesplatz autofrei, öffentlich und begehbar bleibt und sein ursprünglicher Wert hinterfragt und weiterentwickelt wird.

Patric Marino 24.02.2015

öffentliche hände (und private)

Selina Reber begleitet zeichnend das Café publique

Selina Reber 24.02.2015

Hände über der Stadt

«Wohin lenken wir die Ausdehnung der Stadt? Über dieses Problem wurde lange diskutiert. Am Ende hat eine eigens dafür bestimmte Kommission von Stadtplanern und Experten das Gebiet im Norden der Stadt gewählt. Wo sich heute ein trostloses Stück Land erstreckt, wird die Stadt Strassen, Wasser, Licht und Gas hinbringen sowie all die unverzichtbaren öffentlichen Bauwerke. Lange hat unsere Partei dafür gekämpft, vom Parlament einen Sonderfonds zu erhalten für die Bedürfnisse unserer Stadt.»

Aus dem Film «Le mani sulla città» von Francesco Rosi, 1963.

Szene auf Youtube:

https://www.youtube.com/watch?v=QD1E505qNAU

Patric Marino 24.02.2015

Presseberichte

In den Medien wird die unterhaltende und animierende Qualität des 1. Café puplique hervorgehoben.


Bericht Der Bund vom 23. Februar 2015
Bericht Journal B vom 24. Februar 2015

Niklaus Wenger 25.02.2015

«Protokoll»

Selina Reber 25.02.2015

Im Westen

Im Westen liegt die Zukunft von Bern.

Im Westen entstehen die Quartiere von morgen.

Im Westen wollte man eine Stadt bauen, wo bereits eine steht.

Im Westen liegen Bodenschätze und entstehen Luftschlösser.

Im Westen gibt es eine Kinostadt, wo neue Häuser verlassen aussehen.

Im Westen ist in den letzten zehn Jahren Weltarchitektur entstanden.

Im Westen notieren wir: Flagship-Architektur, New Metropolitan Mainstream, Bilbao-Effekt.

Im Westen hocken die Anbieter in der Shopping Mall und essen Sushis neben Bonsaibäumchen, während man draussen auf keinen grünen Zweig kommt.

Im Westen stecken die Stadtplaner im Morast und merken, dass man nicht alles planen kann.

Im Westen liegen die Felder brach, werden Räume und Plätze und Leere profiliert.

Im Westen sind die Bäume zu klein, um raufzuklettern oder darunter Schach zu spielen.

Im Westen wird erst etwas wachsen, wenn sich die Leute den Boden zurückholen und ihn selbst bestellen.

Im Westen haben wir Drachen steigen lassen und an der Schnur des Drachens Papierfetzen.

Im Westen spielt ein Lied, das alle mitpfeifen, aber sogleich verstummen, weil es falsch tönt.

Im Westen klingt wie ein Versprechen.

Im Westen suchen wir nach peripheren Kulturen und Mikrostrukturen, die vom Zentrum her nicht erschaffen, sondern verdrängt und zerstört werden.

Im Westen wird geredet wie in einem anderen Land, in fremden Sprachen und mit Gleichgültigkeit.

Im Westen zählen eigene Charakteristiken.

Im Westen wohnen und in der Stadt arbeiten.

Im Westen arbeiten und in der Stadt wohnen.

Im Westen leben tun nur wenige.

Im Westen fahren sie Autorennen in der Nacht.

Im Westen drehen die Züge und Trams enttäuscht ab.

Im Westen verbindet man Plätze mit geraden Strassen und Bindestrichen.

Im Westen bleibt mehr als ein Fingerbreit frei vom öffentlichen Raum.

Im Westen gibt es ein Nutzungskonzept, doch wird der Platz von niemandem beansprucht.

Im Westen geschieht sehr viel, von der Bümplizer Chilbi über den Bümplizer Märit bis zum Kerzenziehen im Tscharnergut.

Im Westen hat noch nie eine Miss-Schweiz-Wahl stattgefunden.

Im Westen hört die Diskussion auf, und im Westen fängt sie an.

Patric Marino 26.02.2015

Sollbruchstellen

Abb. 1: Europaplatz (Öffentlicher Zugang)
Abb. 2: Öffentliches Klima (privatisiert)
Abb. 3: Gras, das drüber wächst


Selina Reber 26.02.2015

Was macht sozial innovative Städte aus?

Medellín/Kolumbien wurde im Frühjahr 2013 vom Wall Street Journal und der City Group zur innovativsten Stadt der Welt ernannt.


https://science.apa.at/rubrik/kultur_und_gesellschaft/

Niklaus Wenger 27.02.2015

Die Trams waren grün

Daniel Blumer, Stadtforscher und Diskussionsgast am Café publique #1 kommentiert und reflektiert in seinem Beitrag "Die Trams waren grün" scharfsinnig den Wandel von Nutzungs- und Verhaltensweisen im öffentlichen Raum von Bern.

Meine Tochter musste für die Tagesschule einen Fragebogen einer älteren Schulkollegin ausfüllen (Abb. 1: Fragebogen). Ihre Antwort hat eine Erinnerung geweckt: Da war doch was...eine intensive Farben-Diskussion...rote Trams! Ein rotes Tuch, Neuaufbruch, Kontrast zum sandsteinfarbenen Ursprungsgrün, mehr Sicherheit, neue Identität. Eine leidenschaftlich aber auch erbittert geführte Auseinandersetzung, so jedenfalls meine Erinnerung an die damalige Presse. Und dann - plötzlich: die ganze Farbenpalette! Schwarz-weiss, pink, lila, hellgrün oder gleich alle Farben zusammen rollten daher. Die Reaktion? Schweigen und Minne.

Konnte die Grundsatzdiskussion Rot gegen Grün mobilisieren, erzeugten hingegen das Coca-Cola-, das Valiant-, das Samsungtram und wie all die Firmen hiessen und heissen, die unsere Trams von unten bis oben, von hinten bis vorn (inkl. Fensterscheibe) in ihre Werbebotschaft kleideten keinen Vorstösse, keine Leserbriefe. Nichts (Abb.2: Tramwerbung).

Über Geschmäcker lässt sich offenbar streiten. Die Ökonomisierung unserer alltäglichen Gebrauchsgegenstände, der Gebäude, Flächen, Zäune und Transportmittel folgt hingegen einer anderen Logik. Macht uns sprachlos. Die Farbe ist da nicht Zweck, sondern Mittel. Wer zahlt befiehlt, ist doch logisch. Und sowieso, es geht um Geld und über Geld spricht man nicht.

Der öffentliche Raum hat einenWert. Einen Gebrauchswert und einen Tauschwert. Der Bereich dazwischen ist fliessend, aber zugespitzt gesagt: ersteren muss man sich leisten wollen – was dann vielen zugute kommt. Aber eben, Raum lässt sich auch in Wert setzen, tauschen, in dem Nutzungsrechte, Gestaltungsrechte, Informationshoheit, ja letztlich das Recht auf Stadt abgegeben, gegen Geld eingetauscht wird – was dann einigen zugute kommt. Es ist dieses, der 1% statt 99% Gesellschaft verhafteten Denkweise die findig genug ist, immer neue Bereiche zu entdecken, die ebenfalls noch etwas Rendite abwerfen könnten.

Altbekannt sind die Plakatwände. Etwa beim Kurzparking des Bahnhofs. FIGUGEGEL, das ist eine Kindheitserinnerung, die ich mit den an den Wänden und Zäunen angebrachten Plakatwänden neben dem Postautobahnhof verbinde. Heute braucht es keine Zäune mehr, um die Werbetafeln daran aufzuhängen. Die Werbetafeln selber sind zum Zaun geworden. Ökonomisch und praktisch (Abb.3: Werbetafeln als Zaun).

Aber nehmen wir doch lieber das Beispiel der Nordhalle des Berner Bahnhofs. Wer erinnert sich nicht an die Eröffnung, die rundum viel gepriesene, filigrane Bauweise, die Transparenz der durchgehenden Glasfassade, das Erfahrbarmachen des Geländesprungs. Gelobt sowohl von Politik und Fachleuten (und ich stimme zu, ein schönes Stück Bahnhof). Aber welch ein ungenutztes und von den Architekten verkanntes Potential! Deshalb – heute an beiden Enden grossflächig in Wert gesetzt (Abb. 4: Nordhalle mit Werbung, Bahnhof Bern).

Womit wir mit „gesetzt" bei einem weiteren Stichwort wären, wenn wir uns im Bahnhofsbereich befinden: Dem Sich-Setzen, also in Ruhe hinsitzen zu können. Ein eher schwieriges Unterfangen im öffentlichen Raum des Bahnhofs – jedenfalls sicher nicht auf der Treppe. Höchstens darunter (Abb. 5: Treppe, Bahnhofshalle Bern). Der Sitzplatz ist nicht kostenlos, dafür kommt er mit einem Kaffee. Kaffee kriegt man mittlerweile auch dort, wo nach dem Bahnhofsumbau das Sitzen bzw. Warten institutionalisiert worden war, im kleinen aber feinen Wartesaal. Heute kriegt man dort einzig noch (Steh)Kaffe. Gesessen werden soll woanders (Abb. 6: Starbucks, Bahnhofshalle Bern).

Allerdings auch nicht mehr auf dem Stei. Diesem Ort, ja dieser einstigen Institution im Berner Teil des Bahnhofs. Bier, Punks, Alkis und die Kinoplakate – das war zur Zeit der grünen Trams.

Heute gibt's für die einen Platz auf der grossen Parkterrasse – einen geschützten Rahmen soll es bieten (Abb. 7: Container auf der Parkterrasse). Das mag sein. Im Bahnhof unten ist es aber eher ein „Aus den Augen aus dem Sinn". Wirklich schade, denn auch hier – Jugenderinnerung – galt: sich 10 Minuten auf den Stei setzen und man konnte das Ergebnis von Zuschreibungen und damit auch der Produktion von Raum direkt erfahren. Oder anders gesagt, auf dem Stei war man was anderes – war man wo anders – als neben dem Stei.

Das war diese Reminiszenz an die alte Stadt, die in die Glasvitrine gestellt wurde. Auch nach den Punks dominieren weiterhin knallige Farben auf dem Stei. Dafür sorgt die rosa-blaue Beleuchtung, die sich gut in das Farbangebot der umliegenden Geschäfte einpasst (Abb. 8/9: Stei).

Und dazu, möglicherweise auch als Hinweis für alle jene, die angesichts der Laden- und Gastropracht die obere Altstadt mit einem gedeckten Urban Entertaining Centers verwechseln könnten (wie in der Mall schützen vor Wind und Wetter die direkten Zugänge von Parkhaus und Bahn sowie die Laubengangarchitektur) steht auf der Glasvitrine gross geschrieben: Bern, Unesco Welterbe (Abb. 10: Ladenpassagen in der Altstadt, Abb. 11: Shopping im Bahnhof).

Aber zurück zum Sitzen. Doch, das ist schon noch möglich. Auch kostenlos. Aber nur wenn es einem schlecht geht – sorichtig schlecht. Notsitz! Das Wort sagt alles – die hochgeklappten Sitzflächen und ihre geringe Anzahl (zwei Stück) unterstreichen das zusätzlich (Abb. 12: Notsitz).

Ja, sitzen im öffentlichen Raum ist so eine Sache. Möblierungen sind nicht (mehr) gefragt. Das hat sein gutes, weil doch die Plätze auch anders bespielt werden können – oder wie beim Bundesplatz man sich einfach auch mal auf den Boden setzen kann. Und wer das Tüechli mitnimmt hat da dann wirklich das Urbane Badi-Feeling.

Wenn die Mitten frei sind, so dienen die Ränder zum Sitzen – allerdings nur noch dort wo es möglich ist. Die Gassen haben sich zu erweiterten Konsumbereichen entwickelt – mit Vorteilen: Hier gibt's den Kaffee in der Tasse statt im Papierbecher. Aber eben, Platz für anderes bleibt da nicht. Zwischen Verkehr und Fussvolk sich auf den Boden setzen? Das macht wenig Spass. Deshalb sitzt Mann und Frau entlang der Lauben und Fensterbereiche – gerne mit Blick auf den Waisenhausplatz – das Sandwich aus dem Take-away von gegenüber in der Hand.

Auch das – nicht allen gefällt's. Schlecht für das Image denkt sich etwa das Bankgeschäft für die kleinen Leute und setzt auf erprobte Mittel: Was bei den Tauben klappt, klappt auch bei den Menschen (Abb. 13: Anti-Sitz Massnahme). Im Gegensatz zum Federvieh aber bitte nicht zu spitz, es soll effektiv sein, aber ja nicht verletzen: „Defensive architecture" heisst das. http://www.theguardian.com/society/2015/feb/18/defensive-architecture-keeps-poverty-undeen-and-makes-us-more-hostile (Dasselbe findet sich übrigens auch bei der Möblierung des öffentlichen Raums; die Strassenbänke in Londons Stadtteil Camden sind so designt, dass sie nicht nur das Liegen, sondern auch das darauf Skaten verunmöglichen sollen – und zu lange darauf sitzen ist wohl auch eher unbequem: http://en.wikipedia.org/wiki/Camden_bench
Doch zurück zu Bern. Wenn Lauben und Gassen belegt sind, so sollten sich die Ideen v.a. um die Nutzung der öffentlichen Plätze und insbesondere der Ausgestaltung deren Ränder kümmern.Beim Bundesplatz wurde dank der Entrümpelung – Autos weg, Fläche frei und Wasser drauf – das Wichtigste gemacht. Nur bei der Tauschwert orientierten Bewirtschaftung stellt sich die Stadt Bern manchmal selber noch ein Bein.

Ein Potential – Gebrauchswertpotential! – liegt beim Waisenhausplatz bzw. dem Waisenhaus selber – hier vermisse ich die leidenschaftliche Diskussion (Abb. 13: Waisenhausplatz).

Nicht den Platz überdecken sondern die Nutzung – ab hier – neu denken. Das heisst, der Waisenhausplatz nicht als Abschluss, sondern als Bindeglied einer Abfolge öffentlicher Plätze und öffentlichkeitswirksamer Bereiche die sich entlang des Progr und des Kunstmuseums bis zur Schützenmatte und der Reitschule fortsetzen.

Dazu müsste natürlich auch der Polizeistützpunkt im Waisenhaus weichen. Hier sollte vielmehr das viel begehrte Stadthaus – oder wenigstens Teile davon, wozu notabene auch eine Polizeiwache wie im Bahnhof gehört – ihren Platz finden. Einem solchen Haus mit (freiwilligem) Publikumsverkehr käme, so mitten im Zentrum,wohl unwidersprochen ein höherer Gebrauchswert zu.

Und dann müsste man natürlich den Strassenraum neu gestalten und Mauern einreissen. Zum Beispiel jene Schutzmauer zum polizeilichen Fahrzeugpark hin, was mit dessen Umnutzung einhergeht – für Menschen statt Maschinen. Dadurch entsteht ein offener Raum – gar Durchblicke zum Aarehang – als Gegenstück zur offenen Fensterfront des Progr. (Dürfte hier sogar der so unrühmlich verschiedene Paul Klee Platz seine Auferstehung feiern, so Mitten in der Stadt, statt irgendwo im Grünen?). (Abb. 16: Mauer neben Waisenhausplatz).

Was so entstehen kann, ist eine Abfolge von Plätzen, vom Bundeshaus bis zur Schützenmatte. Sie verfügen über unterschiedlichste Qualität, nehmen verschiedene Rollen ein. Aber eines muss für alle gelten – ihre Nutzung, Aneignung, das Bespielen und Gestalten orientiert sich am Gebrauchswert.

Ja, früher diskutierten wir noch über Farben, heute arbeitet Bern am Recht auf Stadt. Das wäre doch eine schöne Antwort!

PS: Die Fotos entstanden am Mi. 4.3. auf dem Weg an eine Sitzung in der Stadt, der Text danach entlang der Fotos. Es sind in die Taste gehauene Impressionen, ein Beitrag ohne Feinschliff als Basis für weitere Diskussionen.

Daniel Blumer

Medellínisierung

Sand auf der Grossen Schanze
Palmen in der Kramgasse
Stühle auf dem Bahnhofplatz
Kaffee trinken vor dem Letzten Gericht

Fussball spielen in der Reithalle
Skaten unter der Eisenbahnbrücke
Urban Gardening auf Parkplätzen
Kinder spielen, wo man Drogen dealte

Die Gleichzeitigkeit von Schafen
und schwarzen Schafen in der Stadt
Bücher ausleihen auf offenem Platz
und sie tadellos zurückbringen

Kaffee trinken neben leeren Fussballfeldern
weil klatschende Bälle und schreiende Kinder
die Diskussion stören würden
wie man die Halle beleben könnte

In Medellín blühen Orchideen das ganze Jahr
Strassen und Plätze liegen brach
die Stadt wird umgestochen
die Erde ist rot und fruchtbar

In Bern sind die Böden schwarz und kalt
die Wurzeln der Bäume vermögen
die harte Schale nicht zu sprengen
nur der Salat schiesst in die Höhe

«Aus Diamanten wächst nichts
auf dem Mist spriessen Blumen»
die Lichter der Aussenquartiere
ein flackernder Kranz um die Stadt

Wege werden verkürzt und
Räume miteinander verbunden
Rolltreppen, wo oben die Armen betteln
und Auffangnetze unter den Brücken

S-Bahn zum Europaplatz
auch Verbrecher haben Mütter
früher musste sich die Mutter
drei Kilometer weit schleppen

All das bewegt und formt Bern
folgt nicht der vermeintlichen
Idee der Mediterranisierung
sondern der Medellínisierung:

Zulassen von Ideen und Innovationen
auf die Bevölkerung zugehen
ihre Bedürfnisse einholen
Bewegungen ermöglichen

Patric Marino 14.03.2015